Der Literaturwissenschaftler und Romanist Erich Auerbach (1892–1957) über die Erzählbarkeit der gegenwärtigen Geschichte
«Man denke an die Geschichte, welcher wir selbst beiwohnen; wer etwa das Verhalten der einzelnen Menschen und Menschengruppen beim Aufkommen des Nationalsozialismus in Deutschland, oder das Verhalten der einzelnen Völker und Staaten vor und während des gegenwärtigen (1942) Krieges erwägt, der wird fühlen, wie schwer darstellbar geschichtliche Gegenstände überhaupt ... sind; das Geschichtliche enthält eine Fülle widersprechender Motive in jedem Einzelnen, ein Schwanken und zweideutiges Tasten bei den Gruppen; nur selten kommt (wie jetzt durch den Krieg) eine allenfalls eindeutige, vergleichsweise einfach beschreibbare Lage zustande, und auch diese ist unterirdisch vielfach abgestuft, ja sogar fast dauernd in ihrer Eindeutigkeit gefährdet; und bei allen Beteiligten sind die Motive so vielschichtig, dass die Schlagworte der Propaganda nur durch roheste Vereinfachung zustande kommen – was zur Folge hat, dass Freund und Feind vielfach die gleichen verwenden können. Geschichte zu schreiben ist so schwierig, dass die meisten Geschichtsschreiber genötigt sind, Konzessionen an die Sagentechnik zu machen.»

E. Auerbach, Mimesis – Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur (Bern 1946)

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