Am 7. Januar jährt sich der Anschlag auf die französische Satirezeitung #CharlieHebdo zum 8. Mal, bei dem u.a. auch der Chefredakteur Stéphane Charbonnier, genannt Charb, ums Leben kam. Aus diesem Anlass hier ein Text, den ich bereits im letzten Jahr geschrieben und auf meinem Blog bzw. Facebook veröffentlicht hab.
Einleitung, bla, bla, bla, und dann:
Den größten Fehler, den man angesichts solcher Attentate begehen kann, ist leider ein sehr naheliegender: Nur allzu leicht stellt sich das Gefühl ein, es gebe da auf der einen Seite ein aufgeklärtes «Abendland» (in dem ganz selbstverständlich gilt, dass Religion kritisiert werden darf, ja muss) und auf der anderen einen unaufgeklärten «Orient», dessen Bewohner, sobald ein Fall von Verunglimpfung des Islam im gottlosen Westen ruchbar wird, in Weißglut geraten und Rache schwören und nehmen. Ein bisschen Nachdenken muss zur notwendigen Einsicht führen, dass das aufgeklärte Abendland natürlich ebenso wenig ein monolitischer Block gestandener Menschenrechtler ist wie die arabische oder die islamische Welt ein monolitischer Block des voraufklärerischen «primitiven Denkens». Natürlich schleppt auch das sogenannten Abendland noch immer sein Mittelalter mit sich herum, in Gestalt der Orbans, Le Pens, Berlusconis, Höckes, Trumps etc., wie andererseits in der arabischen, islamischen Welt genauso kritisch und aufgeklärt gedacht und kritisiert und für Menschenrechte gekämpft wird wie anderswo auf der Welt. Was nicht zuletzt der neuerliche Fall des Attentats auf Salman Rushdie zeigt: Der Mann ist gebürtiger Muslim – also Rushdie jetzt. Nicht vergessen. Noch immer gilt, dass die meisten Opfer islamisch – ich würde nicht sagen: «motivierter» (die «Motivation» ist ganz woanders zu suchen), sondern – «legitimierter» Gewalt Muslime sind. (Den ersten Jahrestag der grässlichen Taliban wurde nur von den Taliban gefeiert, nicht von der restlichen muslimische Bevölkerung von Afghanistan.)
Aber über all das wollte ich gar nicht reden, sondern nur erwähnen, dass ich aus Anlass des Jahrestages in Charbs «Gesammelten Fatwas» geblättert habe (die bisher nicht auf Deutsch erschienen sind) und mir zum Vergnügen die letzte daraus übersetzt habe.
Achtung: Menschen, die Angst vorm Sterben haben, Leute, die als Kinder zu cholerischen Anfällen neigten, sowie bei der Post angestellte Personen könnten sich in ihren Gefühlen verletzt fühlen (18+).
Voilà:
TOD DEN NERVENSÄGEN, DIE ANGST VORM TOD HABEN!
Von Charb
Ich habe Angst vor dem Tod, ich will nicht sterben, bibber-bibber … Ja, geht’s noch ein bisschen selbstgefälliger? Warum bitte schön solltest du nicht sterben wie alle Menschen? Was ist denn so besonders an deinem Leben, dass du dich daran klammerst wie eine Filzlaus? Du hast nur das eine Leben? Klar, das ist allgemein bekannt. Warum solltest du mehrere haben? Um den gleichen Schwachsinn zu erleben, den du schon einmal erlebt hast, und um an Ende wieder zu heulen anzufangen, dass du nicht sterben willst? Schlechter Verlierer! Beim Dosenwerfen müssen immer alle Dosen auf dem Boden landen und wenn nicht, kriegt das Kindchen einen Koller. Man muss älter werden, mein Bester, und am Ende, ja, sterben. Dass du Angst vor dem Moment hast, der dem Sterben vorausgeht, ist verständlich, da gibt es böse Agonien, mit denen ist nicht zu spaßen, aber heutzutage genügt ein kleiner Piks und du bekommst von all dem nichts mehr mit. Ich meine, du erinnerst dich doch noch an das unschöne Gefühl im Magen vor den Abiturprüfungen, oder? Nun also, der Tod sollte dir nicht mehr Angst machen als damals das Abitur. Und die Angst beim Abi rührte daher, dass man durchfallen konnte. Beim Tod besteht in dieser Hinsicht keinerlei Gefahr, die Sterbeurkunde ist uns sicher. Ist es der Schritt ins Unbekannte, der dir Muffensausen bereitet? Nun, das Nichts ist nicht das «Unbekannte», sondern das Nichts. Das Nichts ist … wie soll ich es dir erklären? Denk an deinen Job bei der Post! Okay? Na also, das Nichts ist genau so, nur weniger nervig. Und was dein Leben angeht – vergiss nicht, dass du es gratis bekommen hast. Wenn du auf der Straße einen 100-Euro-Schein findest, hebst du ihn auf und hältst schön den Mund. Wenn du ihn in die Tasche steckst, überlegst du bereits, was du dir davon kaufst, richtig? Du weißt sehr gut, dass die 100 Euro nicht ewig halten werden, und du akzeptierst es. Dein Leben ist dieser 100-Euro-Schein. Sagen wir 500 Euro, um dir eine Freude zu machen. Und in Sachen Leben hast du dir nicht mal die Mühe machen müssen, dich zu bücken, um es aufzuheben. Fauler Hund!
Ich denke, Sie sind mit mir einer Meinung, die Nervensägen, die Angst vor dem Tod haben, verdienen es, in den Suizid getrieben zu werden, und der Film ihres Lebens, der vor ihrem inneren Auge abläuft, zeige nur Szenen, in denen sie Geschirr spülen! Amen.
(Aus dem Französischen von H. A.)
Charb (Stéphane Charbonnier, 1967–2015): Les Fatwas de Charb (Petit Traité d’intollerance, tome 1), Éditions Les Échappes: 2009.
Heiko Arntz hat dies geteilt.