KOEPPEN IM GRAS
Anfang des Monats ging die Meldung durch die Medien von einer jungen Deutschlehrerin, die Wolfgang Koeppens Roman „Tauben im Gras“ von 1951 gelesen hat, weil der ab 2024 Abi-Pflichtlektüre werden soll in Baden-Württemberg. Sie war dann geschockt, weil da ständig das Wort „Neger“ vorkommt. Sie wird zitiert mit den Worten: „Das war der schlimmste Tag meines Lebens“.
Meine erste Reaktion war: Wie naiv kann man sein bzw. darf man sein – als Deutschlehrerin (nicht zu wissen, was evtl. „historischer Kontext“, „Rollenprosa“ oder irgendwas in der Art ist). Meine zweite war: Wenn das der schlimmste Tag in ihrem Leben war, hat sie bislang wohl nichts Schlimmes erlebt. Ist doch gut. – Okay, das war unsachlich, aber Spott liegt hier nahe (und er wird dann natürlich auch von garantiert falscher Seite auf die Frau ausgeschüttet worden sein; ich habe das nicht verfolgt.)
Meine dritte Reaktion war: Könnte man doch mal Koeppen lesen. Man hat Germanistik studiert, glaubt sich in der Literaturgeschichte ganz gut auszukennen, hat aber noch nie Koeppen gelesen. Nicht gut. Immerhin stand ein Exemplar abrufbereit im „Müsste/könnte man auch mal lesen“-Regal.
Ich habe also gelesen. Erste 100 Seiten ziemlich flott durchgefetzt, zweite 100 Seiten schon bedeutend langsamer, letzte 100 Seiten nur mit größter, wütender Qual. Kurz gesagt: Ich fand es grottig, im Ganzen, im Detail.
Natürlich ist der Roman nicht rassistisch, wie die Lehrerin glaubt, sondern er ist dezidiert anti-rassistisch. Aber das nützte ihm nichts – weil er so grottenschlecht ist. Denn weil alles irgendwie nicht funktioniert – der „lyrisch“-raunende Tonfall, die flachen Figuren, die öden Dialoge, die behauptete „Handlung“ (mit einem absurden Totschlag mittenmang), der lahme politisch-philosophische Überbau –, weil all das nicht (behaupte ich) funktioniert, funktioniert auch der intendierte Anti-Rassismus nicht, sondern die ewige Nennung der „Neger“ und „Nigger“ ist einfach nur penetrant wie alles in dem Roman – wie auch z. B. die Verwendung der ewigen „Nutten“ – es sind alles nur Klischees, Abziehbilder von Abziehbildern, keine Figur ist glaubhaft, keine gewinnt Eigenständigkeit, Individualität – sondern all das kündet nur von der unguten Fixiertheit des Autors auf seine Sujets und Motive und Einfälle, letztlich also von seinem Unvermögen, sich über den Stoff zu erheben, oder wie man es ausdrücken will.
Weshalb sich mir die Frage stellt: Warum ist oder wird so was Abi-Pflichtlektüre? Wer bestimmt so was und wieso fällt denen (wenn es darum geht, einen repräsentativen Roman der 50er Jahre auszuwählen) nichts Besseres ein? Inzwischen müsste man doch wohl recht gelassen Vergleiche anstellen können. Z. B. mit einem Roman wie Uwe Johnsons „Ingrid Babendererde – Reifeprüfung 1953“, den ich gerade lese, weil er im selben „Könnte man/müsste mal“-Regal stand und weil ich nach dem Koeppen-Muff dringend frische Luft brauchte. Und siehe da: Man denkt erst, is n büschen gespreizt, n büschen manieristisch, vielleicht unreif (geschrieben mit 23!) – aber nix da, das ist Literatur, so geht Literatur, so funktionieren Figuren, Räume, Landschaften, so werden wir mitgerissen!
Also ich jedenfalls.
(Mein alter Deutschlehrer, dem ich so manchen entscheidenden Lektüre-Hinweis verdanke und dem ich von meinem Koeppen-Desaster berichtete, reagierte belustigt und wollte mir in der Sache nicht widersprechen, merkte aber an, dass die spätere Erzählung „Jugend“ das sei von Koeppen, „was atmet“. Auch „Treibhaus“ habe seine Meriten. Und als 15-, 16-Jähriger habe er die „Reiseberichte“ sehr geschätzt. Okay. So viel ausgleichende Gerechtigkeit muss sein. Ich werde das aber vorerst nicht überprüfen. Jetzt zurück in die frühsommerliche Hitze der Johnson’schen Seenlandschaft ...)
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mögen das
Rainer "diasp.org" Sokoll ✅
Als Antwort auf Heiko Arntz • • •Freilich sagt das wenig über das Buch aus, wir beide passen einfach nicht zusammen.