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Harthkanal steht auf der Kippe - wegen DIN-Norm


Eigentlich sollte der Harthkanal zwischen Cospudener und Zwenkauer See als Herzstück des Leipziger Neuseenlandes schon längst in Bau sein. Dabei ist die Gewässerverbindung beider Seen zurzeit fraglicher denn je. Grund: eine DIN-Norm.

Im Frühjahr verbreitete die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV) als zuständiger Tagebausanierer noch Optimismus: Ende Februar verbreitete sie die Nachricht, ab März könnten die sogenannten Auflastschüttungen entfernt werden, die den losen Kippengrund für den Bau von Kanal und Schleuse seit 2016 verdichten sollten. Das geschehe bis August. Bis dahin sei wohl auch die Genehmigung für den Kanalbau bei der Landesdirektion durch, der eigentliche Bau könne starten, hieß es damals. Pustekuchen.

Fragen über Fragen prasselten stattdessen auf die LMBV ein. Durch das Verdichten war zum Beispiel der Grundwasserspiegel im Gelände extrem angestiegen, die Gründungen der Bauwerke mussten umgeplant werden. Und ein betonfeindlicher Boden mit aggressiven Säuren war entstanden. Auch Fragen in Auswertung des Hochwassers von 2013 kamen. Im Sommer schickte die Leipziger Dependance der LMBV schließlich einen Brandbrief ans zuständige sächsische Umweltministerium. Tenor: Wir rühren keinen Handschlag mehr, stellen alle Planungen ein, wenn ihr uns noch mehr Brocken zwischen die Beine schmeißt.

Was war zwischendurch passiert? Die DIN-Norm 19700war eingefordert worden. Diese regelt in Deutschland, wie Stauanlagen auszusehen haben. Das tut sie seit 1953 im Westen, seit 2004 wurden auch alte Ost-Bestimmungen eingearbeitet. In der Kurzfassung fordert die Norm, dass Stauanlagen so gebaut sein müssen, dass ihre Sicherheit auch bei Extremereignissen gewährleistet ist. Ganz konkret: Selbst ein 10 000-jähriges Hochwasser, also eines, das wahrscheinlich alle 10 000 Jahre einmal vorkommt, muss die Anlage aushalten. Zum Vergleich: 2013 war ein 150-jähriges Hochwasser.
Hochwasserschutztor unwirksam

Bei der Überprüfung der LMBV-Pläne auf dieses Kriterium stellte sich nach LVZ-Informationen heraus, dass die geplante Hochwasserschutzwand am Zwenkauer See Richtung Leipzig um drei Meter überströmt würde. Eine Katastrophe, die wenig wundert: Sie war auch nur einen halben Meter höher vorgesehen als die Zwei-Meter-Marke, die als Einstauziel für den See formuliert ist. Als ebenso bröckelig bei dem Ereignis erwies sich die Nordböschung, die lediglich aus losem Abraum besteht.

Der geplante Kanal soll zudem das Überschusswasser aus dem Zwenkauer in den Cospudener See leiten. 2,5 Kubikmeter pro Sekunde sind als Ziel festgelegt, um damit auch den Cospudener See und den Floßgraben Richtung Leipzig dauerhaft zu speisen. Problem nur: Bei den LMBV-Planungen wären die Boote in den kleinen Schleusen-Vorhäfen von der Strömung so durchgeschüttelt worden, dass an ein Schleusen gar nicht zu denken wäre.
Gründungen werden viel teurer

Die LMBV plante jeweils um: Die setzte das Hochwasserschutztor drei Meter höher – was bei dem Boden eine sehr aufwändige Gründung und extrem hohe Mehrkosten bedeutet – und plante große Rohre zum Ablassen des Überschusswassers. Das wiederum rief die Angelverbände auf den Plan. Sie forderten, bei einem Gewässerneubau müsse auch an die Durchlässigkeit für Fische wie den Aal gedacht werden. Und der wandere nun mal nicht durch Rohre. An diesem Punkt dürfte den LMBV-Planern der Kragen geplatzt sein, schickten sie den Brandbrief gen Dresden.
Tagebaurestloch oder Hochwasserspeicher?

Die Planungen seien schließlich schon 2016 mit allen Beteiligten abgestimmt gewesen, heißt es aus der LMBV-Chefetage. Alle seien damit zufrieden gewesen. Und der Zwenkauer See sei eben ein Tagebaurestloch und kein künstlicher Hochwasserspeicher, auf den die aufwändige DIN-Norm ausgerichtet sei. Nur mit viel Geld und einem klaren politischen Willen sei der Bau jetzt noch zu retten.

Offiziell befindet sich die LMBV derzeit in „intensiver Abstimmung“ mit der Landesdirektion, derzeit müsse „die Funktion des Hochwasserspeichers mit seinen Ein-, Absperr- und Auslaufbauwerken“ geprüft werden, so die LMBV in einer Pressemitteilung. Auf Basis der „festgelegten Optimierungsschritte“ sei derzeit nicht zu sagen, wann Baubeginn sei.
Behörde sieht „Sicherheitsdefizite“

Die Landesdirektion wird etwas deutlicher. In Auswertung des Hochwasser 2013seien die geplanten Bauwerke des Kanals überprüft, „Sicherheitsdefizite“ festgestellt worden. Die Pläne würden aktuell überarbeitet.

Hinter den Kulissen ist sogar erwogen worden, den Kanal gar nicht mehr zu bauen. Zu teuer, zu viele Fragen, zu viele Risiken. Allein für das aufwändigere Hochwasserschutztor müssten 30 Millionen Euro mehr ausgegeben werden. Kritiker berichten von einem Anstieg der Baukosten um 300 Prozent. Die LMBV bestreitet das. Inoffiziell. Offiziell gibt es schon länger keine Angaben mehr zu den Kosten. Nur soviel: Anstelle der ursprünglich geplanten 50 Millionen Euro sei man inzwischen bei 80 Millionen Euro. Das war jedoch im Frühjahr – vor den neuen Anforderungen.
„Erklärter Anspruch der Region“

Selbst Andreas Berkner von der Regionalen Planungsstelle, sonst ein ruhiger, besonnener Moderator, der im Hintergrund die Übersicht behält und den Konsens herstellt, wird auf die Frage nach den Kosten unruhig. Es komme darauf an, welche Kosten man meine, betont er. Für das Projekt bedürfe es auf jeden Fall „besonderer gemeinsamer Anstrengungen aller Beteiligten“, mahnt er. „Alle müssen dafür zusammenarbeiten“, fordert Berkner. Der Kanal bleibe jedoch „erklärter Anspruch der Region“, formuliert er in enger Abstimmung mit Landrat Henry Graichen (CDU).

Ein anderer geplanter Neuseenland-Kanal ist bereits in der Schublade verschwunden. Nach dem Aus der Landesdirektion für die Wasserschlange, der den Markkleeberger See und damit auch den Störmthaler See an die Pleiße anschließen soll, wird von den Beteiligten nach Alternativen gesucht. Theoretisch bleibt ein Gewässer zwar möglich, aber hinter den Kulissen wird eher über Boots-Shuttles als einen neuen Kanal nachgedacht. Klar ist auch: Gigantische Mehrkosten für den Harthkanal befördern nicht gerade eine aufwändigere Lösung an anderer Stelle.

Von Jörg ter Vehn

LVZ v.24.09.2019