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Leipziger Regionalplaner: 1000 neue Windräder als Lippendorf-Ersatz nötig


Die erneuerbaren Energien in Sachsen sollen rasch ausgebaut werden. Regionalplaner Andreas Berkner erklärt, warum das keineswegs ein Selbstläufer wird.
Im Juli vergangenen Jahres hat die Staatsregierung ein neues Energie- und Klimaprogramm beschlossen. Andreas Berkner, Leiter der Planungsstelle im Regionalen Planungsverband Leipzig-Westsachsen, erklärt, was das bedeutet. Seit Mitte Dezember 2021 ist der neue Regionalplan für Leipzig und Westsachsen fertig. Wie lange hat das gedauert? Der neue Regionalplan hat uns seit 2013 beschäftigt. Nun liegt er vor und ist 3,8 Kilogramm schwer. Das liegt in erster Linie daran, dass viele gesetzliche Hürden zu nehmen waren. Über Planbeschleunigungsverfahren reden eben meist Akteure, die selbst nicht beteiligt sind. Wir haben es aber trotz Pandemie geschafft, 2020/21 alle Zeitvorgaben einzuhalten. Eine ganze Reihe von Unwägbarkeiten: Das ist aber noch nicht das Ende? Nein, die Staatsregierung hat im Juli vergangenen Jahr ein neues Energie- und Klimaprogramm beschlossen, das auch neue Ausbauziele beinhaltet. Deshalb hat die Verbandsversammlung im Dezember vergangenen Jahres eine Fortschreibung des eigentlich nagelneuen Plans unter diesem Aspekt beschlossen. Herrscht nun Klarheit, wohin die Reise geht? Es gibt eine ganze Reihe von Unwägbarkeiten. Zum einen geht die neue Bundesregierung von einem Zwei-Prozent-Flächen-Ziel für den Ausbau der erneuerbaren Energien aus, das näher definiert werden muss, zum anderen befindet sich die neue sächsische Bauordnung im Gesetzgebungsverfahren. Das heißt, eine Bestandsaufnahme ist möglich, aber um das Verfahren konkret zu machen, bedarf es der Klarheit. Beispielsweise steht an vielen Stellen ausgerechnet der Artenschutz dem Ausbau der erneuerbaren Energien entgegen. Deshalb muss man einen Weg finden, wie man mit dieser Problematik umgeht. Wo sehen Sie diesen Weg? Im Zweifelsfall müsste man prüfen, ob man naturschutzrechtliche Bestimmungen nicht ändern sollte. Um es mal vereinfacht zu sagen: Wenn es um Artenschutz geht, kann man vom Individuum oder von der Population ausgehen. Im letzteren Fall hieße das: Wenn die Population nicht gefährdet ist, könnte man im Einzelfall auch mal Abstriche beim Individuum machen. Das aber ist letztlich Sache der Bundes- und der Landesregierung. „Keine Abstriche beim Siedlungsabstand“: Wer mehr erneuerbare Energien haben will, muss beim Artenschutz zurückstecken? Darauf läuft es hinaus. Keine Abstriche würden wir dagegen beim Abstand von 1000 Metern zu Siedlungen bei neuen Anlagen machen. Das hätte sonst wahrscheinlich schwerwiegende Auswirkungen auf die Akzeptanz der Menschen in der Region. Eine Konstellation bei der Energiewende, die man sich besser nicht wünschen sollte. Betrifft das auch das Verbot, im Wald Anlagen zu errichten? Der Koalitionsvertrag der Landesregierung schließt das aus. Möglicherweise wird man künftig differenzierter an das Thema herangehen müssen. Wir sind aber in Westsachsen die waldärmste Region im Freistaat und es fällt jetzt schon schwer den vorhandenen Wald zu mehren. In waldreichen Gebieten Sachsens wird man die Frage möglicherweise irgendwann anders stellen müssen. Welche Alternative gibt es zu diesem Szenario? Wir halten eine Technologieoffenheit für sinnvoll. Erst mal ist entscheidend, dass man die Mengenvorgaben an erneuerbaren Energien erfüllt. Die Relation zwischen Windenergie und Photovoltaik, steht auf einem ganz anderem Blatt. Wäre der Ausbau mit Photovoltaik denn einfacher? Zumindest ist die Akzeptanz dafür im Moment höher als bei großen Windenergieanlagen oder Windparks. Mit einer guten Mischung wären die Ausbauziele erreichbar. Dabei geht es um Photovoltaik-Anlagen im dreistelligen Hektarbereich. Der Energiepark Witznitz in der Bergbaufolgelandschaft beispielsweise soll knapp 400 Hektar Fläche umfassen. Das würde beim Erreichen der Ziele helfen. 1000 neue Windräder für Lippendorf: Also retten die Bergbaufolgegebiete den Ausbau der erneuerbaren Energien? Nein, diese Illusion funktioniert nicht. Weil in diesen Gebieten zum Teil schon wieder alle möglichen Nutzungen und Naturschutzaspekte dafür sorgen, dass man an die Flächen nicht mehr herankommt. Und um beispielsweise das Kraftwerk Lippendorf zu ersetzen, müsste man schon 1000 neue Windräder bauen. Die neue Bundesregierung will nach Möglichkeit eher aus der Braunkohle aussteigen. Welche Folgen hätte das? Wir sind gerade dabei, den Plan für den Tagebau Vereinigtes Schleenhain fortzuschreiben. Dabei ist es ein Unterschied, ob die Tagebaufolgelandschaft für 2030 oder für 2035 geplant wird. Das hat auf die verschiedensten Aspekte Auswirkungen – von der Position der Restlöcher über Fragen des Wasserhaushalts bis hin zu den Finanzen. Für 2035 gibt es eine akzeptable Planung, für 2030 würde es weitaus schwieriger. Wird denn in Expertenkreisen auch mal wieder das böse Wort mit A wie Atomkraft benutzt? Das spielt für unsere Planungen keinerlei Rolle. Die politischen Debatten dazu nehmen wir zur Kenntnis, aber für unsere Region sind uns keinerlei Ambitionen in dieser Richtung bekannt. Dynamik in Leipzig hat abgenommen: Wie schätzen Sie die Entwicklung der Großstadt Leipzig ein? Ich bin nach wie vor der Meinung, dass 700 000 Einwohner eine Größenordnung sind, die man in Leipzig mit Blick auf den Verkehr und den Freiraum besser nicht überschreiten sollte. Wir sind jetzt aber bei etwa 610 000 Einwohnern, die Dynamik hat schon deutlich abgenommen. In Leipzig gibt es noch genügend Bauflächen für Wohnbauten. Die Baupreise in der Stadt sind aber deutlicher gestiegen als im Umland, deshalb zieht es mittlerweile viele auch dorthin. Wie geht es jetzt weiter? Um es analog der Fußballer-Sprache zu sagen: Nach dem Plan ist vor dem Plan. Der Verband wird 30. und hat in dieser Zeit gewaltige Umbrüche – beispielsweise den Wegfall der Regierungspräsidien und des Umweltfachamtes oder die Neuordnung der Kreise – erlebt. Insofern ist der Regionale Planungsverband eine gewisse Konstante. Ein Planer, der nur am Schreibtisch arbeitet, nützt jedoch keinem. Deshalb sind wir auch Mittler zwischen Freistaat und Kommunen. Allen alles recht machen werden wir nie können. Es geht aber immer um einen vernünftigen Ausgleich. Von Roland Herold