Böhlener Cracker: Bleibt Wärme für Leipziger Wohnungen übrig?
Das Böhlener Dow-Werk will grüner werden und denkt dabei weit über die eigenen Werkstore hinaus. Welche Projekte aktuell verfolgt werden und was der Cracker dabei für eine Rolle spielt.
Im Industriegebiet Böhlen-Lippendorf verfolgt die Dow Olefinverbund GmbH ehrgeizige Pläne. Das zum amerikanischen Dow-Konzern gehörende Unternehmen, das allein in Böhlen 600 Mitarbeiter zählt, will am Standort weiter wachsen. Zudem gibt es zahlreiche Anfragen von Interessenten, die sich auf dem 320-Hektar-Gelände niederlassen wollen. Landrat Henry Graichen (CDU) sagte der Dow bei einem Firmenbesuch im Böhlener Werk Unterstützung zu. Dow selbst sieht sich gut gerüstet für die Herausforderungen des Strukturwandels. Value-Park in Böhlen und Schkopau mit Potenzial: Den Konzern in Reichweite zu haben, gilt bei immer mehr Firmen aus dem Bereich Chemie und Verfahrenstechnik als Vorteil. Nicht umsonst etablierte Dow bereits vor mehreren Jahren das Konzept des Value-Parks, um an den Standorten Böhlen und Schkopau (Sachsen-Anhalt) Zulieferer und Kunden um sich zu scharen und Synergieeffekte zu nutzen. „Mittlerweile haben sich 27 Unternehmen angesiedelt: Kunststoffproduzenten, kunststoffverarbeitende Unternehmen und chemienahe Dienstleister“, erklärte Value-Park-Leiterin Anke Bökelmann. „Und seit etwa anderthalb Jahren reißen die Nachfragen nicht ab.“ Carlo de Smet: Nachhaltigkeit ist für Dow ein großes Thema: Herzstück der Anlage ist der Böhlener Cracker, der Rohbenzin in Ethylen oder Propylen aufspaltet. Aus diesen wiederum lässt sich eine breite Palette an Kunststoff-Produkten herstellen. Laut Carlo de Smet, seit 2019 Leiter der Dow-Werke in Böhlen und Teutschenthal, komme dafür seit Jahresanfang nur noch grüner Strom zum Einsatz. „Nachhaltigkeit“, so der gebürtige Niederländer, „ist für uns ein großes Thema.“ Weltweit würden bereits ein Viertel aller Standorte des US-Konzerns mit grünem Strom versorgt. „Seit Jahresanfang gehören auch die Werke in Böhlen, Leuna und Bitterfeld sowie die Kaverne in Teutschenthal dazu“, so de Smet. Lesen Sie auch: Großabschaltung: So sieht’s im Chemiewerk Dow in Böhlen innen aus Neuer Chef bei Dow in Böhlen stellt Weichen für die Zukunft Wärme der Dow könnte künftig Böhlen heizen Chemikanten werden wieder in Böhlen ausgebildet Abwärme des Böhlener Crackers könnte in Fernwärmeleitung fließen: Was die Erreichung der Klimaziele betrifft, denkt Dow weit über seine eigenen Werkstore hinaus. Nachdem das benachbarte Kohlekraftwerk der Leag in einigen Jahren als Fernwärmelieferant ausfällt, will Dow beispielsweise seine bisher ungenutzte Abwärme zur Verfügung stellen. „Es wäre nur ein kurzes Stück Leitung zu bauen, um die Abwärme unseres Crackers in das vorhandene Leitungsnetz einzuspeisen“, skizzierte de Smet eine mögliche Lösung. Die Leistung liege bei 80 Megawatt. Eine Größenordnung, die auch die Wärmeversorgung der Stadt Böhlen oder von Teilen Neukieritzschs mit absichern könnte. Auch in Leipziger Wohnungen könne so für Wärme gesorgt werden. Dow blickt auf erfolgreiches Geschäftsjahr zurück: Bei Dow selbst läuft aktuell das Geschäft, wenngleich der Krieg in der Ukraine zum Beispiel die Strompreise und andere Kosten durch die Decke gehen lässt. „Wir hatten 2021 ein sehr erfolgreiches Jahr – sowohl für den gesamten Konzern, aber auch das Böhlener Werk“, berichtete Lars Domogalla, Geschäftsführer der Dow Olefinverbund. Und sogar von der Hochfackel hat man lange nichts gehört. Was als gutes Zeichen gilt, da ihr Lodern immer anzeigt, dass etwas im Gefüge nicht stimmt. Domogalla erklärte dazu: „Der Cracker läuft seit über 900 Tagen ohne Unterbrechung.“ Ein störungsfreier Betrieb, der sogar im globalen Vergleich einen Rekordwert bedeute. Ansiedlung zum Thema Plastik-Recycling im Gespräch: Weitere heiße Eisen werden vom Chemiekonzern geschmiedet. So verwies Christoph Maier, Leiter für Infrastruktur-Entwicklung, auf das mögliche Interesse eines Kunststoffverwerters, im mitteldeutschen Chemie-Dreieck in größerem Umfang Plastik zu recyceln. „Der Standort Böhlen wäre dafür ideal. Wir könnten das dabei entstehende Naphtha als Grundstoff für unseren Cracker nutzen. Dies wäre ein weiterer Schritt hin zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft und der Verringerung von Plastikmüll.“ Die Menge an Kunststoffabfällen, um die es geht, soll bei über 100 000 Tonnen im Jahr liegen. Bereits jetzt würden für den Cracker Produkte genutzt, die ein regionales Unternehmen beim Recyceln von Motoröl gewinnt. „Das sind im Vergleich zu dem Plastik-Recycling aber nur homöopathische Dosen“, verdeutlichte Maier. Langfristig gehe es Dow darum, die CO2-Emissionen so weit wie möglich zu reduzieren. Verteilungskampf ums Wasser im Leipziger Südraum: Der Umweltgedanke spielt auch beim Vorhaben „Aqua-Spice“ eine Rolle. Im Rahmen des gleichnamigen EU-Forschungsprojektes wird an Standorten in über zehn Ländern untersucht, wie die Industrie das knappe Gut Wasser möglichst sparsam einsetzen kann. Zwei Standorte von Dow sind dabei, weil sie unter Wasserknappheit leiden: Das Böhlener Werk, das sich im Leipziger Südraum in einer Art Verteilungskampf ums Wasser befindet; aber auch der Dow-Standort im niederländischen Terneuzen, gelegen in einer Küstenregion mit wenig Süßwasser. Im Leipziger Raum würden gerade sinkende Flusspegel im Sommer immer mehr zum Problem. Denn Frischwasser entnimmt Dow aus der Weißen Elster und über eine Pumpleitung auch aus der Mulde. Ziel sei, den Verbrauch von jährlich acht Millionen Kubikmeter mittelfristig um 20 Prozent zu senken. Allerdings – auch dafür öffneten die Dow-Vertreter der regionalen Politik die Augen – würde für anstehende Wasserstoff-Projekte wiederum sehr viel Wasser benötigt. Von Simone Prenzel
Im Industriegebiet Böhlen-Lippendorf verfolgt die Dow Olefinverbund GmbH ehrgeizige Pläne. Das zum amerikanischen Dow-Konzern gehörende Unternehmen, das allein in Böhlen 600 Mitarbeiter zählt, will am Standort weiter wachsen. Zudem gibt es zahlreiche Anfragen von Interessenten, die sich auf dem 320-Hektar-Gelände niederlassen wollen. Landrat Henry Graichen (CDU) sagte der Dow bei einem Firmenbesuch im Böhlener Werk Unterstützung zu. Dow selbst sieht sich gut gerüstet für die Herausforderungen des Strukturwandels. Value-Park in Böhlen und Schkopau mit Potenzial: Den Konzern in Reichweite zu haben, gilt bei immer mehr Firmen aus dem Bereich Chemie und Verfahrenstechnik als Vorteil. Nicht umsonst etablierte Dow bereits vor mehreren Jahren das Konzept des Value-Parks, um an den Standorten Böhlen und Schkopau (Sachsen-Anhalt) Zulieferer und Kunden um sich zu scharen und Synergieeffekte zu nutzen. „Mittlerweile haben sich 27 Unternehmen angesiedelt: Kunststoffproduzenten, kunststoffverarbeitende Unternehmen und chemienahe Dienstleister“, erklärte Value-Park-Leiterin Anke Bökelmann. „Und seit etwa anderthalb Jahren reißen die Nachfragen nicht ab.“ Carlo de Smet: Nachhaltigkeit ist für Dow ein großes Thema: Herzstück der Anlage ist der Böhlener Cracker, der Rohbenzin in Ethylen oder Propylen aufspaltet. Aus diesen wiederum lässt sich eine breite Palette an Kunststoff-Produkten herstellen. Laut Carlo de Smet, seit 2019 Leiter der Dow-Werke in Böhlen und Teutschenthal, komme dafür seit Jahresanfang nur noch grüner Strom zum Einsatz. „Nachhaltigkeit“, so der gebürtige Niederländer, „ist für uns ein großes Thema.“ Weltweit würden bereits ein Viertel aller Standorte des US-Konzerns mit grünem Strom versorgt. „Seit Jahresanfang gehören auch die Werke in Böhlen, Leuna und Bitterfeld sowie die Kaverne in Teutschenthal dazu“, so de Smet. Lesen Sie auch: Großabschaltung: So sieht’s im Chemiewerk Dow in Böhlen innen aus Neuer Chef bei Dow in Böhlen stellt Weichen für die Zukunft Wärme der Dow könnte künftig Böhlen heizen Chemikanten werden wieder in Böhlen ausgebildet Abwärme des Böhlener Crackers könnte in Fernwärmeleitung fließen: Was die Erreichung der Klimaziele betrifft, denkt Dow weit über seine eigenen Werkstore hinaus. Nachdem das benachbarte Kohlekraftwerk der Leag in einigen Jahren als Fernwärmelieferant ausfällt, will Dow beispielsweise seine bisher ungenutzte Abwärme zur Verfügung stellen. „Es wäre nur ein kurzes Stück Leitung zu bauen, um die Abwärme unseres Crackers in das vorhandene Leitungsnetz einzuspeisen“, skizzierte de Smet eine mögliche Lösung. Die Leistung liege bei 80 Megawatt. Eine Größenordnung, die auch die Wärmeversorgung der Stadt Böhlen oder von Teilen Neukieritzschs mit absichern könnte. Auch in Leipziger Wohnungen könne so für Wärme gesorgt werden. Dow blickt auf erfolgreiches Geschäftsjahr zurück: Bei Dow selbst läuft aktuell das Geschäft, wenngleich der Krieg in der Ukraine zum Beispiel die Strompreise und andere Kosten durch die Decke gehen lässt. „Wir hatten 2021 ein sehr erfolgreiches Jahr – sowohl für den gesamten Konzern, aber auch das Böhlener Werk“, berichtete Lars Domogalla, Geschäftsführer der Dow Olefinverbund. Und sogar von der Hochfackel hat man lange nichts gehört. Was als gutes Zeichen gilt, da ihr Lodern immer anzeigt, dass etwas im Gefüge nicht stimmt. Domogalla erklärte dazu: „Der Cracker läuft seit über 900 Tagen ohne Unterbrechung.“ Ein störungsfreier Betrieb, der sogar im globalen Vergleich einen Rekordwert bedeute. Ansiedlung zum Thema Plastik-Recycling im Gespräch: Weitere heiße Eisen werden vom Chemiekonzern geschmiedet. So verwies Christoph Maier, Leiter für Infrastruktur-Entwicklung, auf das mögliche Interesse eines Kunststoffverwerters, im mitteldeutschen Chemie-Dreieck in größerem Umfang Plastik zu recyceln. „Der Standort Böhlen wäre dafür ideal. Wir könnten das dabei entstehende Naphtha als Grundstoff für unseren Cracker nutzen. Dies wäre ein weiterer Schritt hin zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft und der Verringerung von Plastikmüll.“ Die Menge an Kunststoffabfällen, um die es geht, soll bei über 100 000 Tonnen im Jahr liegen. Bereits jetzt würden für den Cracker Produkte genutzt, die ein regionales Unternehmen beim Recyceln von Motoröl gewinnt. „Das sind im Vergleich zu dem Plastik-Recycling aber nur homöopathische Dosen“, verdeutlichte Maier. Langfristig gehe es Dow darum, die CO2-Emissionen so weit wie möglich zu reduzieren. Verteilungskampf ums Wasser im Leipziger Südraum: Der Umweltgedanke spielt auch beim Vorhaben „Aqua-Spice“ eine Rolle. Im Rahmen des gleichnamigen EU-Forschungsprojektes wird an Standorten in über zehn Ländern untersucht, wie die Industrie das knappe Gut Wasser möglichst sparsam einsetzen kann. Zwei Standorte von Dow sind dabei, weil sie unter Wasserknappheit leiden: Das Böhlener Werk, das sich im Leipziger Südraum in einer Art Verteilungskampf ums Wasser befindet; aber auch der Dow-Standort im niederländischen Terneuzen, gelegen in einer Küstenregion mit wenig Süßwasser. Im Leipziger Raum würden gerade sinkende Flusspegel im Sommer immer mehr zum Problem. Denn Frischwasser entnimmt Dow aus der Weißen Elster und über eine Pumpleitung auch aus der Mulde. Ziel sei, den Verbrauch von jährlich acht Millionen Kubikmeter mittelfristig um 20 Prozent zu senken. Allerdings – auch dafür öffneten die Dow-Vertreter der regionalen Politik die Augen – würde für anstehende Wasserstoff-Projekte wiederum sehr viel Wasser benötigt. Von Simone Prenzel