Über den Starship-Testflug, die Berichterstattung der Medien und die Social-Media-Reaktionen
Auf Grund dessen, was ich so über das Wochenende in den Medien und auf Social-Media mitbekommen habe, muss ich mal ein paar Zeilen loswerden. Am Samstag fand ja der von vielen Menschen herbeigesehnte zweite Start des "Starship" statt, der neuen Rakete von SpaceX, die derzeit in Entwicklung ist.
Dieser Start war die Fortsetzung des ersten Startversuchs, bei dem sehr viel schiefgelaufen war. So hatte sich SpaceX zunächst dagegen entschieden, ein System in die Startanlage einzubauen, das den enormen Schalldruck beim Start abdämpfen könnte. Dafür wird in der Regel (auch bei deutlich schwächeren Raketen) Wasser eingesetzt. Wie man im Nachhinein erfahren hatte, sollte ein solches System wohl schon zum ersten Start eingebaut werden, aber Elon Musk hatte wohl auf die Zeit gedrängt, deswegen fand der Start ohne das System statt.
Beim ersten Startversuch liefen ein Haufen Dinge überhaupt nicht nach Plan. Die Startanlage und die Umgebung wurden maximal in Mitleidenschaft gezogen, die Rakete verlor schon gleich zum Start mehrere Triebwerke und entwickelte niemals den benötigten Schub. Gleichzeitig hatten Explosionen bei den Triebwerken dafür gesorgt, dass sich die Rakete nicht mehr richtig steuern ließen und dann versagte auch noch das System, das die Rakete im Fall eines Problems sprengen sollte. Das alles führte (berechtigterweise) zu einer Untersuchung, bei der SpaceX nachweisen musste, diese Dinge anzugehen.
Unter diesem Gesichtspunkt fand dann der zweite Start statt. Dieses Mal gab es das System, das den Schalldruck mit Hilfe von Wasser dämpfe. (Im Englischen heißt es "Water Deluge System", mir fehlt da eine gute deutsche Übersetzung) Dieses System war augenscheinlich ein Erfolg, es kam wohl kaum zu Schäden an der Anlage und der Umgebung. Die Zuverlässigkeit der Triebwerke war auch ein großer Kritikpunkt gewesen. Auch hier wurde augenscheinlich nachgebessert, denn bis zur Stufentrennung gab es keine Ausfälle.
Dieser Test fand auch unter dem Gesichtspunkt statt, Dinge auszuprobieren, die sich nicht gut simulieren lassen. Dazu gehört das sogenannte "Hot Staging", d.h. bei der Stufentrennung zündet die zweite Stufe schon, während sie noch mit der ersten Stufe verbunden ist. Viele hatten hier befürchtet, dass es die erste Stufe dabei zerreißen könnte, was dann aber nicht der Fall war. Demzufolge lief das dann auch erfolgreich ab.
Ab diesem Zeitpunkt gab es dann aber Probleme. Als die erste Stufe sich drehte, um in die Nähe der Startanlage zurückzufliegen, setzen mehrere Triebwerke aus, die Rakete verlor dann Treibstoff und wurde augenscheinlich gesprengt. Hier hat also etwas noch nicht gut geklappt. Aber ich bitte zu bedenken, dass es im Moment nur zwei Anbieter gibt, die ihre erste Stufe überhaupt retten (SpaceX und Rocket Lab). Alle anderen lassen sie unkontrolliert ins Meer oder (im Fall von Russland und China) auf Land stürzen.
Der Flug der zweiten Stufe wurde fortgesetzt und zunächst sah alles gut aus. Man konnte zum Ende hin allerdings beobachten, dass das System augenscheinlich Sauerstoff verlor. Dann setzen alle Triebwerke aus und augenscheinlich sprengte sich das System dann.
Jetzt gibt es einige, die daraus folgern, dass der Flug ein Misserfolg war. Und insbesondere in der aktuellen Stimmung, die (verständlicherweise) gegen Elon Musk gerichtet ist, kommt dann auch schnell Häme auf. Ich bin kein SpaceX-Fanboy oder Elon-Anhänger. Ich bin aber ein Space-Nerd mit einem ausreichenden Grundwissen, um Dinge beurteilen zu können. Und dementsprechend ist mein Schluss, dass der Flug ein grundsätzlicher Erfolg war, da viele der Kritikpunkte des ersten Starts erfolgreich angegangen wurden.
Es gibt immer noch viel zu tun. So muss geschaut werden, was zur Zerstörung beiden Stufen geführt hat. Und es muss etwas angegangen werden, was aufmerksamen Beobachtern aufgefallen war (aber von der Presse komplett ignoriert wurde): Für den Wiedereintritt hat die Oberstufe Hitzeschutzkacheln, ähnlich wie sie das Space Shuttle gehabt hatte. Und ähnlich wie beim Space Shuttle hatten sich beim Start und während des Flugs einige Kacheln gelöst. Wäre das Starship also bis zum Wiedereintritt gekommen, wäre die Gefahr groß gewesen, dass es verglüht wäre.
Dieser Flug hier war ganz klar ein Test, bei dem so viel Daten wie möglich gesammelt werden sollten, damit diese in die Entwicklung des dritten Starts einfließen. Hier auch mal ein Unterschied zwischen der Arbeitsweise von SpaceX im Vergleich zu anderen Firmen: SpaceX arbeitet eher wie eine Software-Firma. D.h. sie entwickeln, testen, korrigieren und testen erneut. Im Rahmen dieser Tests bauen sie mittlerweile das Starship fast in Serienproduktion. D.h. die neue Hardware steht schnell zur Verfügung. Das ist komplett anders als z.B. bei der NASA mit dem SLS (Space Launch System), das in den nächsten Jahren wieder Menschen zum Mond bringen soll. Dort wird sehr klassisch vorgegangen. D.h. es floss sehr viel Bekanntes ein. Nicht nur die Ideen, sondern sogar einzelne Bauteile, die schon beim Space Shuttle geflogen waren. Beide Ansätze haben ihre Vorteile, beide ihre Nachteile. Man darf nur nicht den Fehler begehen, von der einen Methode auf die andere zu schließen.
Es gibt Dinge, die man an Elon Musk und SpaceX (zu Recht!) kritisieren kann. (Musk für seine politischen Ansichten, SpaceX u.A. für die Arbeitsbedingungen) Und ich finde, dass man sie kritisieren sollte. Wir sollten nur nicht den Fehler begehen, uns auf die gleiche Stufe zu stellen wie die, die wir kritisieren wollen. D.h. wir sollten sachlich korrekt bleiben, denn ansonsten schafft man einfach nur einen Ansatzpunkt für Gegenkritik und zeigt die gleiche Oberflächlichkeit, die man eigentlich kritisiert.
mögen das
Serenityfreaksout hat dies geteilt.
Andreas vom Zwenkauer See
Als Antwort auf Michael 🇺🇦 • •Guter Kommentar, @Michael Vogel
Eine kleine Ergänzung: zum "Water Deluge System" - hier hat die Wild-and-Fish-Behörde fest gestellt, dass entgegen voriger Befürchtungen nur die Wassermenge eines normalen Regens die umliegenden Salzwiesen flutet. Das wurde als unbedenklich eingestuft.
Erste Fotos von "Stage 0" - der Startplatz - zeigen minimale Schäden am Quick-Disconnect-Arm (das Ding wo der Treibstoff in die Rakete gepumt wird). Da ist was verbeult. Peanuts.
Befüchtungen, das die "Wasserdusche" durch den enormen Druck Abrieb hat und damit die Umwelt belastet, wurden von der Wild-and-Fish-Behörde als zu vernachlässigen bewertet.
Das Ding sollte also viele Starts aushalten !
Und das nächste Gespann steht schon bereit und soll in kürzester Zeit fliegen ...
P.S. was die abgeflogenen Kacheln angeht: Uhu klebt alles !
Michael 🇺🇦
Als Antwort auf Andreas vom Zwenkauer See • • •Ich kannte die (berechtigten) Bedenken bezüglich des Wassers. Ist ja gut zu wissen, dass es anscheinend keine Probleme gibt. Die geringen Schäden am Qiuck-Disconnect-Arm sehe ich auch nicht als Problem an. Hast Du gesehen, wie die Startanlage nach dem SLS-Start aussah? Das war übler.
Zu den Kacheln: Ich setze da eher auf Gaffer-Tape.
Andreas vom Zwenkauer See mag das.
Erik Pusch ☑️
Als Antwort auf Michael 🇺🇦 • • •Die Kacheln waren über die ganze Betriebsdauer der Space Shuttles ein Problem. Und ein paar Flüge hatten größere Probleme, als die NASA ursprünglich dokumentiert hatte.
bernd-leitenberger.de/shuttle-…
Was die Entwicklung bei SpaceX betrifft: Früher (50er/60er Jahre) hat an bei der NASA/Luftwaffe auch eher in kurzen Zyklen Tests gemacht und die Systeme verbessert.
Man darf halt nicht vergessen, dass das SLS halt ein politisches Programm ist, wo fast alle Bundesstaaten mit irgendwelchen Unternehmen beteiligt sind - sprich viele Köche verderben den Brei. Bei SpaceX darf nicht jeder Bunesstaat irgendein Schräubchen beisteuern.
Das Space Shuttle Hitzeschutzschild
www.bernd-leitenberger.deMichael 🇺🇦
Als Antwort auf Erik Pusch ☑️ • • •@Erik Pusch ☑️ Ja. Insbesondere die Kacheln sind etwas, weswegen ich diese angebliche "Nur kurz auftanken und dann kann neu gestartet werden" als höchst kritisch ansehe.
Jepp, bei den alten Entwicklungen habe ich auch immer "Vanguard" im Kopf. Bis zur Saturn sind der NASA (und den Vorgängern) echt viele Raketen um die Ohren geflogen.
Und was SLS angeht: Jupp. Da steht ja meines Wissens sogar in den Kongressanforderungen drin, dass abgeleitete Shuttle-Hardware verwendet werden muss ... Trotzdem würde ich eher im SLS als im Starship zum Mond fliegen.
Erik Pusch ☑️
Als Antwort auf Michael 🇺🇦 • • •Das Recycling von Shuttle Technologie beim SLS macht es auch nicht einfacher, denke ich.
Bei X37 sind die Amerikaner ja reichlich schmallippig, bei Dreamchaser kommen auch Kacheln zum Einsatz, aber doch deutlich weniger. Aber so ganz simpel ist das auch nicht:
dewesoft.com/de/blog/thermalsc…
Steuerung des Wärmeschutzsystems von Raumflugzeugen
Datenerfassungssysteme (DAQ) und LösungenMichael 🇺🇦
Als Antwort auf Erik Pusch ☑️ • • •