Neuer Anlauf zur Rettung des Leipziger Auwalds
Der Leipziger Auwald ist bedroht. Doch über Strategien, das Landschaftsschutzgebiet zu retten, entbrennt regelmäßig Streit zwischen Politikern, Fachbeamten, Wissenschaftlern, Naturschützern. In einem Beteiligungsprojekt will Sachsens Umweltminister Günther die Lager jetzt zur Zusammenarbeit bewegen.
Der Auwald ist für die Leipziger eine Herzenssache. Das weisen Bürgerbefragungen nach, und es lässt sich auch daran erkennen, dass die Stadtgesellschaft seit Jahrzehnten hitzig streitet. Wie soll der Mensch umgehen mit diesen rund 5900 Hektar Landschaftsschutzgebiet, die über die Stadtgrenzen hinaus von Zwenkau im Süden bis zum Rand Sachsen-Anhalts im Nordwesten reichen? „Hier sitzen Leute im Raum“, sagte Sachsens Umweltminister Wolfram Günther (Bündnis 90/Grüne) am Montagabend vor gut 80 Behördenvertretern, Kommunal- und Landespolitikern, Umwelt- und Naturschützern, Landwirten und weiteren Auwald-Experten, „die sich genau kennen – aber bisher keinen Wert darauf gelegt haben, sich auszutauschen“. Dabei verfolgten sie letztlich alle dasselbe Ziel, betonte Günther: dem bedrohten Ökosystem vor der Haustür neues Leben einzuhauchen. „Revitalisierung“ heißt das Fachwort. „Der Leipziger Auwald braucht Freunde, die zusammenarbeiten.“ Sein Ministerium hatte eigens zwei Mediatoren angeheuert, aus Hamburg und unverdächtig, selbst einem der vielen Lager anzugehören. Vier Stunden lang sollten in der Leipziger Konsumzentrale auch Kontrahenten miteinander ins Gespräch kommen, unter anderem in Workshops: Vertreter des Vereins „Naturschutz und Kunst“ ( Nukla ) etwa, die zuletzt immer wieder öffentlichkeitswirksam Anstoß genommen hatten, wenn Bäume im Auwald weichen mussten, mit Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal (Linke). Um Platz für die Anpflanzung von Stieleichen zu schaffen, hatte der Stadtrat auf Antrag seines Dezernats zuletzt vor knapp zwei Jahren Baumfällungen beschlossen. Auwald braucht regelmäßige Überschwemmungen: Was der Auwald vor allem benötigt, um Auwald zu bleiben: viel Wasser bei dynamisch wechselnden Wasserständen, am besten durch regelmäßige Überflutungen. „Es ist unglaublich viel Wissen da“, hob Christian Wirth hervor, Sprecher des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung und Botanik-Professor der Uni Leipzig. „Wir brauchen Mut und müssen groß denken, um jetzt in die Umsetzung zu gehen“, forderte er. Ulme und Esche, zwei der drei Baumarten, die für die Lebewesen im Ökosystem Hartholzaue entscheidend sind, hat der Leipziger Auwald bereits so gut wie verloren. Bleibt die Stieleiche. „Und sie hat ein Nachwuchsproblem“, erläuterte Wirth. Die Artenvielfalt, die von der Entwicklung bedroht ist, sei so groß „wie im tropischen Regenwald“, sagte er. Auf nur 18 Bäumen rund um den Auwaldkran hat sein Team allein 566 Käferarten gefunden, 114 davon stehen auf der Roten Liste. Ein knappes Jahr ist das Strategiepapier mittlerweile alt, das Wirth und zwölf weitere Wissenschaftler, Verbands- und Behördenvertreter im Auftrag von Günthers Umweltministerium erstellt haben. Zehn Thesen zur Revitalisierung des Auwalds auf 63 Seiten: kurzfristige Ideen wie die Schlitzung des Deiches im Süden am Ratsholz; und Projekte, für die ein langer Atem nötig sein wird, etwa kanalisierte Flüsse wie Weiße Elster und Luppe mancherorts in ihre natürliche Flussbetten zurückzuführen. Auenentwicklungskonzept 2024: Im Vorhaben „ Lebendige Luppe “ sammelt die Stadt Leipzig bereits seit 2012 Erfahrungen mit einem solchen Revitalisierungsprojekt. Er habe seither vielfältige Erlebnisse mit einer „hochinteressierten und emotionalisierten Zivilgesellschaft“ gehabt, sagte Umweltbürgermeister Rosenthal – und er habe gemerkt: „Wir brauchen eine gesellschaftlich akzeptierte und politisch legitimierte Zielsetzung.“ 2024 möchte sein Dezernat dem Stadtrat ein langfristiges „Auenentwicklungskonzept“ vorlegen. Es wird die entscheidende Abstimmung sein, stellte die Soziologin Karin Lange von der Universität Leipzig klar. „Die Bürgerbeteiligung kann die etablierte Form der demokratischen Willensbildung nicht ersetzen.“ Sich zu beteiligen, erfordere Zeit, Wissen und Geld. „Bildungsferne Schichten, Migrantinnen und Migranten, Menschen in prekären Verhältnissen partizipieren fast nie an meinungsbildenden Prozessen.“ Insofern mag Günthers Initiative, die widerstreitenden Auwald-Gruppen zusammenzubringen, die Chancen auf das Großprojekt erhöhen: Beschlossene Sache ist die Revitalisierung damit nicht. Lesen Sie auch Leipzigs Auwald stirbt – Experten erklären, wie die Rettung laufen kann Forschung in Baumkronen: Zu Besuch auf dem Leipziger Auwaldkran Streit um Baumfällungen im Auwald In den Workshops tauchten denn auch einige Klippen auf, die es zu umschiffen gilt. Das betrifft zum Beispiel den Hochwasserschutz für Anrainer einerseits, andererseits aber auch das Problem, dass Wasser für Überflutungen in den häufiger werdenden Dürrejahren eher fehlt. Auch von Verletzungen und enttäuschten Hoffnungen in der Vergangenheit war die Rede. Von Wut darüber, dass es nicht vorangeht. Minister Günther, Bürgermeister Rosenthal und Forscher Wirth können trotzdem optimistisch sein, dass die Beteiligungsstrategie aufgeht und mit weiteren Treffen Feuer aus der Debatte nimmt. Über eine Echtzeit-Feedback-App waren die gut 80 Auwald-Kenner am Ende aufgerufen, den Abend in jeweils einem Wort zusammenzufassen. Am häufigsten erschienen Begriffe wie „Zusammenarbeit“, „Aufbruch“ und „Vertrauen“ auf der Videowand. Von Mathias Wöbking
Der Auwald ist für die Leipziger eine Herzenssache. Das weisen Bürgerbefragungen nach, und es lässt sich auch daran erkennen, dass die Stadtgesellschaft seit Jahrzehnten hitzig streitet. Wie soll der Mensch umgehen mit diesen rund 5900 Hektar Landschaftsschutzgebiet, die über die Stadtgrenzen hinaus von Zwenkau im Süden bis zum Rand Sachsen-Anhalts im Nordwesten reichen? „Hier sitzen Leute im Raum“, sagte Sachsens Umweltminister Wolfram Günther (Bündnis 90/Grüne) am Montagabend vor gut 80 Behördenvertretern, Kommunal- und Landespolitikern, Umwelt- und Naturschützern, Landwirten und weiteren Auwald-Experten, „die sich genau kennen – aber bisher keinen Wert darauf gelegt haben, sich auszutauschen“. Dabei verfolgten sie letztlich alle dasselbe Ziel, betonte Günther: dem bedrohten Ökosystem vor der Haustür neues Leben einzuhauchen. „Revitalisierung“ heißt das Fachwort. „Der Leipziger Auwald braucht Freunde, die zusammenarbeiten.“ Sein Ministerium hatte eigens zwei Mediatoren angeheuert, aus Hamburg und unverdächtig, selbst einem der vielen Lager anzugehören. Vier Stunden lang sollten in der Leipziger Konsumzentrale auch Kontrahenten miteinander ins Gespräch kommen, unter anderem in Workshops: Vertreter des Vereins „Naturschutz und Kunst“ ( Nukla ) etwa, die zuletzt immer wieder öffentlichkeitswirksam Anstoß genommen hatten, wenn Bäume im Auwald weichen mussten, mit Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal (Linke). Um Platz für die Anpflanzung von Stieleichen zu schaffen, hatte der Stadtrat auf Antrag seines Dezernats zuletzt vor knapp zwei Jahren Baumfällungen beschlossen. Auwald braucht regelmäßige Überschwemmungen: Was der Auwald vor allem benötigt, um Auwald zu bleiben: viel Wasser bei dynamisch wechselnden Wasserständen, am besten durch regelmäßige Überflutungen. „Es ist unglaublich viel Wissen da“, hob Christian Wirth hervor, Sprecher des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung und Botanik-Professor der Uni Leipzig. „Wir brauchen Mut und müssen groß denken, um jetzt in die Umsetzung zu gehen“, forderte er. Ulme und Esche, zwei der drei Baumarten, die für die Lebewesen im Ökosystem Hartholzaue entscheidend sind, hat der Leipziger Auwald bereits so gut wie verloren. Bleibt die Stieleiche. „Und sie hat ein Nachwuchsproblem“, erläuterte Wirth. Die Artenvielfalt, die von der Entwicklung bedroht ist, sei so groß „wie im tropischen Regenwald“, sagte er. Auf nur 18 Bäumen rund um den Auwaldkran hat sein Team allein 566 Käferarten gefunden, 114 davon stehen auf der Roten Liste. Ein knappes Jahr ist das Strategiepapier mittlerweile alt, das Wirth und zwölf weitere Wissenschaftler, Verbands- und Behördenvertreter im Auftrag von Günthers Umweltministerium erstellt haben. Zehn Thesen zur Revitalisierung des Auwalds auf 63 Seiten: kurzfristige Ideen wie die Schlitzung des Deiches im Süden am Ratsholz; und Projekte, für die ein langer Atem nötig sein wird, etwa kanalisierte Flüsse wie Weiße Elster und Luppe mancherorts in ihre natürliche Flussbetten zurückzuführen. Auenentwicklungskonzept 2024: Im Vorhaben „ Lebendige Luppe “ sammelt die Stadt Leipzig bereits seit 2012 Erfahrungen mit einem solchen Revitalisierungsprojekt. Er habe seither vielfältige Erlebnisse mit einer „hochinteressierten und emotionalisierten Zivilgesellschaft“ gehabt, sagte Umweltbürgermeister Rosenthal – und er habe gemerkt: „Wir brauchen eine gesellschaftlich akzeptierte und politisch legitimierte Zielsetzung.“ 2024 möchte sein Dezernat dem Stadtrat ein langfristiges „Auenentwicklungskonzept“ vorlegen. Es wird die entscheidende Abstimmung sein, stellte die Soziologin Karin Lange von der Universität Leipzig klar. „Die Bürgerbeteiligung kann die etablierte Form der demokratischen Willensbildung nicht ersetzen.“ Sich zu beteiligen, erfordere Zeit, Wissen und Geld. „Bildungsferne Schichten, Migrantinnen und Migranten, Menschen in prekären Verhältnissen partizipieren fast nie an meinungsbildenden Prozessen.“ Insofern mag Günthers Initiative, die widerstreitenden Auwald-Gruppen zusammenzubringen, die Chancen auf das Großprojekt erhöhen: Beschlossene Sache ist die Revitalisierung damit nicht. 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Am häufigsten erschienen Begriffe wie „Zusammenarbeit“, „Aufbruch“ und „Vertrauen“ auf der Videowand. Von Mathias Wöbking