friendica (DFRN) - Link zum Originalbeitrag

Andreas Berkner macht verlorene Dörfer sichtbar


„Bergbau und Umsiedlungen im Mitteldeutschen Braunkohlenrevier“ heißt ein Mammutwerk, das auf Daten, Fakten und auf Emotionen beruht. Herausgeber Andreas Berkner präsentiert eine fesselnde Bilanz.
Hinter dem schlichten Titel „Bergbau und Umsiedlungen im Mitteldeutschen Braunkohlenrevier“ verbirgt sich ein Mammutwerk voller Emotionen. Herausgeber Andreas Berkner und die Kulturstiftung Hohenmölsen lassen in einer abschließenden Bilanz 140 Dörfer aufleben, die der Braunkohle weichen mussten. Dem Markkleeberger Publikum hat Berkner die Publikation kürzlich im Rahmen der Vortragsreihe des Vereins für Erdgeschichte im Südraum Leipzig vorgestellt. 54 000 Menschen verloren ihre Heimat: „Mal sehen, ob der das ordentlich erklärt mit meiner Umsiedlung“, flüsterte die Stimme eines Zeitzeugen – einer von rund 54 000 Betroffenen – in den Reihen des Publikums, das sich zahlreich im Parksalon des Weißen Hauses eingefunden hatte. Berkner erklärte nicht nur ordentlich, er nahm seine Hörerschaft fesselnd mit in die Entstehungsgeschichte des Buches. Braunkohle prägt Kindheit: In Windischleuba im Altenburger Land aufgewachsen, hat er schon als Kind mitbekommen: „Da ist reichlich Bewegung um uns herum, die Braunkohle ist in Sichtweite.“ Er lebte nahe genug dran am Tagebau, war aber nicht direkt betroffen. Dass man als junger Mensch den Spuren des Bergbaus auf Schritt und Tritt begegnet, hat er bei einer Moped-Panne im abgebaggerten Magdeborn erlebt, auf dem Weg von Leipzig nach Altenburg. „Da war das schon eine Geisterstadt, zum Glück war das Pfarrhaus noch als letzter Posten belebt und ich konnte um Hilfe telefonieren“, erinnert er sich. Geographie – Hobby und Beruf: Im Rahmen seines Geographie-Studiums beschäftigte er sich 1980 erstmals wissenschaftlich mit einer Analyse der Ortslagen und dem Thema Umsiedlung. Schon zu DDR-Zeiten forschte er, doch da kamen längst nicht alle Fakten auf den Tisch. In Statistiken fanden sich nur die Anzahl der „Kohle-Ersatzwohnungen“, nicht die Zahl der umgesiedelten Frauen, Männer und Kinder. Inzwischen ist er Honorarprofessor am Institut für Geographie der Universität Leipzig, Leiter der Regionalen Planungsstelle im Regionalen Planungsverband Leipzig-Westsachsen und hat sich neun Jahre lang mit dem Buch beschäftigt. Er hat mit unbändigem Wissensdurst, leidenschaftlicher Neugierde, detektivischem Spürsinn und einem umfassenden Netzwerk von engagierten Heimatforschern, Betroffenen, Bergleuten und Wissenschaftlern auf 528 Seiten Zahlen und Daten zusammengetragen. Mit Gunter Arndt beispielsweise vom Heimatverein Zwenkau hat er zum devastierten Eythra eng zusammengearbeitet und Stoff für zwei Doppelseiten mehr als erwartet zusammengetragen. Devastierte Dörfer leben auf: Berkner erzählt vom revitalisierten, schmucken Dreiskau-Muckern. „Das haben wir 1993 in der Besenkammer der Turnhalle in Zwenkau von der Schippe geholt“, blickt er zurück. Die Umsiedlungen von Breunsdorf und Heuersdorf seien seine „härtesten beruflichen Erfahrungen“ gewesen, „emotional sehr belastend, immer zwischen den Interessenlagen abwägend, die alle ihre Berechtigung gehabt haben“. Er macht die verlorenen Dörfer wieder sichtbar, zeigt Karten, Bilder und alte Postkarten aus der Historie und der Gegenwart. Langwierig sei allein das Beschaffen der Rechte für mehr als 1700 Abbildungen gewesen. Er lässt selber seine Drohne für Luftbilder fliegen oder klettert schon mal über eine schmale Leiter 20 Meter hoch in den Turm der Eilenburger Nikolaikirche, um dort die Glocke aus dem devastierten Werbelin zu fotografieren. „Da bin ich schmerzfrei“, schmunzelt er. Sax-Verlag ist beste Wahl: Mit der Druckfreigabe am 13. Januar diesen Jahres, zufällig sein 63. Geburtstag, sei ihm ein „Meilen-Ziegelstein“ von der Seele gefallen, gibt er unumwunden zu. Mit dem Markkleeberger Sax-Verlag, bekannt für seine Sachbücher mit dem Schwerpunkt mitteldeutsche Landesgeschichte, habe er die richtige Wahl getroffen, mit Inhaberin Birgit Röhling oft bis Mitternacht E-Mails ausgetauscht. Seine Einführung spannt den Bogen von der Raumordnung über die Siedlungsentwicklung im Wandel der Zeiten bis zur Sozialverträglichkeit, Berkner begibt sich auf Exkurse ins Rheinland, in die Lausitz, nach Helmstedt und in die Oberpfalz. „Themenspecials“, beispielsweise über das Erdrutsch-Drama in Nachterstedt, ergänzen die Publikation. Virtuelles Archiv geplant: Finanziell hatte er den richtigen Riecher, von 60 000 Euro Gesamtaufwendungen – die Grundfinanzierung hat die Kulturstiftung Hohenmölsen gesichert – ist er ausgegangen. Es wurden letztendlich 70 000. „Verglichen mit den üblichen Kostensteigerungen in der Baubranche habe ich ganz gut gelegen“, bemerkt er mit einem Augenzwinkern. Mit der Kulturstiftung plant er ein virtuelles Archiv, dort soll alles stehen, was nicht zwischen die Buchdeckel passte. Von Gislinde Redepenning