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Von der Konzerthalle ins Pflegeheim: „Anfangs war ich etwas erschrocken“


Statt in Konzerthallen mit Musikern, Technikern und Securitys zusammenzuarbeiten, kümmert sich André Koppelt nun um pflegebedürftige Menschen. Seit Mai arbeitet er im Pflegeheim in Zwenkau. Ein Porträt.

Im Januar hörte man von dieser neuen Lungenkrankheit aus Asien, die weit weg schien. Dann gab es die ersten Fälle in Europa und auch in Deutschland. Die Veranstaltungsbranche war hierzulande als erste von den Einschnitten betroffen – und die Beschäftigten der Kulturbranche leiden besonders stark unter den Corona-Auflagen. Einer dieser Menschen ist André Koppelt. Im Frühjahr meldete sein Unternehmen Kurzarbeit an. Seitdem hat der 47-Jährige nicht mehr in seinem eigentlichen Job gearbeitet. Aber nur abzuwarten, wann es weitergehen würde, kam für Koppelt nicht in Frage. „Ich wollte mit der vielen Zeit etwas Nützliches machen – und außerdem etwas zum Kurzarbeitergeld hinzuverdienen", erklärt er. Zu Beginn der Pandemie war dies nur in systemrelevanten Berufen möglich. Er informierte sich und fasste im April den Entschluss, im Pflegeheim zu arbeiten. Schon im Mai ging es los. Als Organisationstalent unterwegs: Der 47-Jährige arbeitet eigentlich auf Veranstaltungen im Bereich Rigging, baut Traversen für die Lichttechnik auf. Außerdem ist er als Produktionsleiter in den Konzertlocations in der Region unterwegs oder geht unter anderem mit den Prinzen und Ilka Bessin auf Tour. Er koordiniert alles, was im Hintergrund einer Veranstaltung wichtig ist: vom Catering über die Security bis hin zur Veranstaltungstechnik. Er ist das Bindeglied zwischen Tourcrew und dem Personal vor Ort, erstellt Sicherheitskonzepte und Zeitpläne. Manchmal ist Koppelt wochenlang auf Tour unterwegs und meist der erste, aber auch oft der letzte vor Ort. „Die Tage können dann gerne mal 20 Stunden lang werden. Aber der Job macht mir Spaß und erfüllt mich", so Koppelt. Jetzt sind die Tage für ihn meist kürzer. „Meine Schichten als Pflegehelfer dauern etwa sechs Stunden. Für mich ist es fast schwieriger, was ich mit den paar Stunden Freizeit vor der Spätschicht mache”, sagt er schmunzelnd. Ins kalte Wasser geschmissen: „Anfangs dachte ich, dass ich mehr als Betreuer eingesetzt werde. Aber ich mache fast alle Sachen, die die anderen ausgebildeten Pflegekräfte auch durchführen", erzählt Koppelt. Morgens wäscht er die Patienten, wechselt die Einlagen, hilft ihnen beim Anziehen und Zurechtmachen. Berührungsängste hat er dabei nicht. „Anfangs war ich nur etwas erschrocken. Ich hatte keine Schulung bekommen, bin aber dafür die ersten zwei Wochen bei den Kollegen mitgelaufen", berichtet er. Dann musste er selbstständig arbeiten. Im Gegensatz zu den Pflegehilfskräften im Krankenhaus braucht man in der Altenpflege als Hilfskraft keine Ausbildung. Was sonst zu den normalen Aufgaben gehört, wird in Zeiten von Corona noch wichtiger. Er muss bei den Bewohnern Fieber messen, sie wiegen und den Blutdruck überprüfen. „Wir dokumentieren diese Informationen. Auch wie sie am Tag gegessen und getrunken haben”, sagt er. „Das nimmt zwar viel Zeit in Anspruch, aber so können wir schnell abschätzen, wenn es einem Bewohner nicht gut geht. Es ist ein verantwortungsvoller Beruf.” Einige der Heimbewohner sind ihm schon ans Herz gewachsen. Die Kollegen im Pflegeheim waren skeptisch: „Zu Beginn waren die Kollegen aus dem Pflegeheim schon sehr skeptisch”, gibt André Koppelt zu. Er war Quereinsteiger und hatte zuvor keine beruflichen Erfahrungen in diesem Bereich. „Der Job ist nicht für jeden etwas. Außerdem bin ich als Produktionsleiter auch mal für 200, 300 Leute zuständig.” Da gehöre ein selbstbewusstes und entschiedenes Auftreten dazu. Im Pflegeheim musste er sich zunächst unterordnen. „Aber ich glaube, die sind ganz zufrieden mit mir”, sagt er lächelnd. „Mir fehlen die Kollegen“: Auch wenn ihm die Arbeit im Pflegeheim Spaß mache: „Mir fehlt der Kontakt mit den Kollegen und der trubelige Alltag sehr. Ob in den großen Messehallen oder in kleineren Locations", berichtet er. Koppelt erinnert sich zurück an das Frühjahr und an die Gespräche mit den Kollegen. „Da waren viele noch optimistisch, dass es bald wieder losgeht mit den Veranstaltungen und Konzerten. Ich habe schon früh geahnt, dass es dieses Jahr keine richtigen Konzerte oder Festivals geben wird." Er könne sich aktuell nicht vorstellen, dass nächstes Jahr wieder alles so wird, wie es vor Corona war. Zumindest nicht in vollem Ausmaß. Im Frühsommer schrieb er den Technik-Kollegen der Prinzen eine E-Mail, in der er seine Sicht der Situation beschreibt: „… andererseits bin ich aber überzeugt, dass es das Licht am Ende des Tunnels geben wird – wenn auch eventuell nicht mehr so hell wie vorher oder zumindest in einem anderen Farbton …“. Plan B in der Tasche: Das Kurzarbeitergeld gilt bis Ende nächsten Jahres. Die Verlängerung, die im September vom Kabinett beschlossen wurde, sichert André Koppelt und vielen anderen den Arbeitsplatz. „Ich bin froh, dass mein Job solange gesichert ist. Keiner kann sagen, wann und wie es weitergeht. Das ist belastend. Ich würde gerne in der Veranstaltungsbranche weiterarbeiten.” Einen Plan B hat er schon. Mit Sicherheitskonzepten und vor allem mit Arbeitsschutz hatte er schon als Rigger und Produktionsleiter auf den Veranstaltungen zu tun. Im Frühjahr würde er gerne eine Weiterbildung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit anfangen. Damit wäre er auch nicht mehr abhängig von Events. Vor allem in größeren Industriebetrieben gibt es so eine Fachkraft, die entweder direkt im Unternehmen angestellt ist oder extern über einen Dienstleister beauftragt wird. „Das ist zumindest eine Option. Mein Wunsch wäre aber, wieder zurück in die Veranstaltungsbranche zu gehen.” Von Kathleen Retzar

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