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Anluven, abfallen, kreuzen: Landratte auf Segeltörn


Saisonstart auf dem Zwenkauer See – an Bord erlebt

VON ULRIKE WITT
Zwenkau. Die Sonne lacht, blauer Himmel, das Thermometer zeigt 18 Grad – endlich Frühling. Und ich habe eine Einladung zum Segeln auf dem Zwenkauer See. Hafenmeister Fernando Borja empfängt mich. Der 35-Jährige war Mitglied der chilenischen Segelnationalmannschaft. Er wird mich sicher an Land bringen, denke ich. Mein letzter Segeltörn liegt 25 Jahre zurück.

„Der Zwenkauer See ist ein Traumrevier: Vor den Toren Leipzigs bietet es mit 970 Hektar viel Platz und guten Wind.Für Regattasegler echt anspruchsvoll", schwärmt Borja. Er hat gut zu tun. An der Slipanlage wartet Familie Schröder aus Zeitz. „Segeln ist immer wieder neu, immer wieder spannend", sagt Karin Schröder,63. Ehemann Wolfgang, 64, lässt keinen Blick von seiner Sunbeam – ein acht Meter langes Kajütboot. „Wir hatten hier schon in der ersten Saison einen Liegeplatz. Vorher waren wir fünf Jahre am Cossi. Hier ist es ruhiger, entspannter", sagt er. Ärgerlich sei 2015 natürlich die vierwöchige Sperre wegen des Widerspruchs gegen die Mastergenehmigung gewesen.

Während des Einkranens kommt Benedikt Schulz. Der 47-Jährige „übernimmt" mich und versichert mir, dass seine J 70 „das Modernste ist, was es gibt: Hightech, bundesligatauglich und kentersicher". Letzteres ist mir das Wichtigste. Also auf an die Westmole, wo die sieben Meter lange, offene Kieljolle liegt. Seine Freundin Anke Roschke, 49, und Tochter Charlotte, 16, sind schon an Bord. Sie haben vergangenen Sommer ihren Segelschein in Zwenkau gemacht. Schulz, der schon in Jugendtagen gesegelt ist, hat seine Leidenschaft vor zehn Jahren wiederentdeckt. „Nach einem langen Tag im Architekturbüro gibt es nichts Besseres als raus auf den See", meint er.

Meine erste Lektion: An Bord sind alle per du. Die zweite: Eine Hand für den Mann, eine Hand fürs Schiff. Während Benedikt, Anke und „Lotti" Schoten, Fock und Großsegel vorbereiten, versuche ich, nicht im Weg zu sitzen. Dann geht es Richtung Südosten. Von dort kommt heute auch der Wind – eine Ausnahme am Zwenkauer See, der für strammen Westwind bekannt ist. „Klar zur Wende" ruft Steuermann Benedikt, „klar" antwortet die Mannschaft. In den nächsten zwei Stunden geht es mit Gennaker gen Westen, Kurs Schornstein Knautnaundorf, und wieder zurück zum Hafen. Ich erlebe alle Segel-Ma-növer – außer Mann über Bord. Die drei Skipper sind ein eingespieltes Team: Wende, Halse, Segeltrimmen, anluven, abfallen, kreuzen – sie wissen, was zu tun ist. Ich weiß es nicht, bekomme aber immer mehr Lust, es zu lernen.

Im Hafen wartet Borja auf uns. 25 Boote hat er in dieser Saison schon zu Wasser gelassen – Segel- und Motorboote. Bei230 Wasserliegeplätzen, die meisten sind vergeben, wartet noch viel Arbeit auf ihn. Jetzt nimmt er sich Zeit für Benedikt. Die beiden fachsimpeln. „Fernando ist ein absoluter Glücksfall für Zwenkau. Wir sind ja alle keine Profis, sondern ambitionierte Segler. Er hat viel Erfahrung, ist auf drei Meeren gesegelt. Und er hat Tourismusentwicklung studiert", betont Benedikt. Borja, der aus Viña del Mar bei Valparaiso stammt und durch Freunde nach Leipzig gefunden hat, lobt den „offenen Hafen". Anderswo brauche es zum Geld noch Beziehungen, um einen Liegeplatz zu ergattern.

In der zweiten Saison will Borja „mehr Segelatmosphäre" in Zwenkau etablieren. Mit dem Yachtclub, dem Regattaclub und der Segelschule stehen drei Anbieter bereit. Samstagvormittag sei ein regelmäßiges Kindertraining geplant, am Nachmittag Regatten für Erwachsene. Dienstag stehe Frauensegeln auf dem Programm, Mittwoch Training in der Segelschule. Dort könne ich natürlich auch den Segelschein machen, sagt Borja schmunzelnd. Gute Idee.

LVZ v.05.04.2016