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Neubaugebiet am Kap Zwenkau: Die da unten, die da oben


Das Neubaugebiet am Zwenkauer See steht stellvertretend für das wachsende Leipziger Umland. In der Stadt begegnen sich Alteingesessene und Neuankömmlinge teilweise mit Skepsis. Wie integrieren die sich die Zugezogenen ins Stadtleben? Und was sagen die Ur-Zwenkauer zu den neuen Nachbarn?
Zwenkau. Fragt man Helga Mészáros, wie es sich zu Tagebauzeiten so gelebt hat in Zwenkau, ist es ein Wort, das sich einprägsam durch fast jeden ihrer Sätze zieht: Dreck. "Ich kenne eigentlich von Kind an nur Dreck", erinnert sich die Ur-Zwenkauerin. Manchmal, weiß sie noch, wackelten sogar die Fensterscheiben. Dann wusste Helga Mészáros, dass im Tagebau wieder eine Sprengung erfolgt ist.
Der Dreck ist weg

Heute, viele Jahrzehnte später, ist der Tagebaudreck aus Zwenkau verschwunden. Im Gegenteil: Da, wo früher Staub aufgewirbelt wurde, glänzen jetzt die Fassaden von neuen Einfamilienhäusern. Rundherum ist eine regelrechte Freizeitlandschaft entstanden, segeln Menschen auf dem größten Gewässer der Region, kommen Touristen aus ganz Deutschland, um zu campen oder in einer Ferienwohnung einzuchecken.
Und auch die Zwenkauer selbst erscheinen; etwa um am Wasser einen Aperol zu trinken und den Kopf mal durchzulüften. In den Büchern über die Stadtgeschichte Zwenkaus könnte eines Tages wohl stehen: Mit der Flutung, die 2007 begann, hat sich der Zwenkauer See zu einer festen Größe im Leipziger Neuseenland entwickelt. Dem Abschied von der Braunkohle sei Dank.
Am Kap türmen sich modernste Villen

Wer durch das alte Zwenkau zum See fährt – also dahin, wo einst Kohle gebaggert wurde – kann erleben, wie Alt und Neu sich näherkommen. Da ist zunächst der Stadtkern, in dem sich schlichte Häuser aneinanderreihen, einige sind in die Jahre gekommen. Nur wenige hundert Meter weiter könnte der Gegensatz dann größer nicht sein: Am Kap türmen sich modernste Villen, manche besitzen einen direkten Wasserzugang, andere eine Sauna.

Es ist die Szenerie eines Umlandbooms, der nicht nur Zwenkau erfasst hat, hier aber besonders gut sichtbar wird. Rund um Leipzig entdecken Familien mit Kindern den Speckgürtel für sich, in den Stadtrandkommunen sind Baugrundstücke heiß begehrt. Im Falle Zwenkaus spiegelt sich diese Entwicklung auch in den Einwohnerzahlen wider: Im Jahr 2019 lebten hier 9000 Einwohner, 1990 waren es nur etwa 7000. Auch die Zahl der Neubauten schoss regelrecht in die Höhe: Mehr als 100 Häuser wurden unterdessen unweit des Ufers hochgezogen.

Und mittendrin sind Menschen wie die 70-jährige Helga Mészáros: Alteingesessene, die erleben, wie ihre Stadt wächst, wie Menschen mit größerem Portemonnaie an den See ziehen. Gefallen tut das freilich nicht allen. Wie begegnen langjährige Zwenkauerinnen und Zwenkauer also denen, die neu zugezogen sind? Und stimmt es, was eine Ur-Zwenkauerin meint, wenn sie sagt: „Das ist eine Stadt für sich“?
Viele bringen sich ein

Spricht man Menschen im Ort darauf an, gibt es zwei Versionen zu hören. Die erste handelt von einer Boomtown im Stadtumland, die das Schicksal vieler Städte um Leipzig teilt: Die Kommunen wachsen, neue Menschen ziehen hinzu, treffen auf Alteingesessene. Dass es da zu Reibereien kommt, gehöre zur Natur der Sache. Der Großteil der Zugezogenen integriere sich aber ins Stadtleben, heißt es in diesem Zusammenhang dann auch. Die zweite Version hingegen klingt weniger harmonisch, eher distanziert bis ablehnend.

Zunächst aber zur ersten Sichtweise. Und hier kommen zwei ins Spiel, die zeigen, dass Neuzugezogene durchaus Anschluss finden und das Leben in der Kleinstadt mitprägen. Die Ur-Zwenkauerin Helga Mészáros lädt zum Gespräch in die Stadthalle Zwenkau, mit dabei ist auch Sven Thiel, 35 Jahre alt. Beide sind begeisterte Handballer bei der SG Germania Zwenkau, haben sich im Verein kennengelernt. Mészáros ist außerdem Mitglied der CDU-Fraktion Stadtrat.
Ein Neuer spielt bei Germania

Als Thiel 2016 nach Zwenkau zog, sei es auch der Verein gewesen, der ihm die Ankunft im Ort erleichtert habe. "Meine Frau und ich waren viel unterwegs in Zwenkau, haben die Stadt und das Umfeld erkundet", erinnert er sich an die erste Zeit. "Ich bin dann schnell dem Handballverein beigetreten, weil ich selbst aktiv spiele. Meine Frau ist zu den Volleyballerinnen, mein Sohn dann später zum Fußballverein." Dass Thiel Zugezogener ist, habe dabei keine Rolle gespielt. "Ich hatte keine Schwierigkeiten, im Verein Fuß zu fassen. Ich bin mit offenen Armen empfangen worden", sagt Thiel, der am See gebaut hat. Inzwischen sitzt er im Vereinsvorstand. Ein Statement für sich.

Zu verdanken ist dies sicherlich auch Vereinsmitgliedern wie Helga Mészáros, einer Frau, die keine Berührungsängste hat, wie sie selbst sagt. Und sich über das Wachstum in Zwenkau freut. „Warum soll die Gegend dort unten am Kap tot bleiben?“, fragt sie. Im Verein jedenfalls seien alle willkommen. „Es gibt viele Eltern, die unten neu gebaut haben, die ihre Kinder zum Handball bringen.“

Aber auch Helga Mészáros räumt ein, dass nicht alle Zugezogenen so offen wie ihr Handballfreund Sven seien. „Ja, es gibt die Meinung in Zwenkau, dass das ein Stadtteil für sich ist. Aber es gibt auch viele Leute, die unten wohnen, die versuchen, mit den Bürgern hier Kontakt aufzunehmen.“ Diese kritischen Stimmen kämen aber nur vereinzelt auf. Und Sven Thiel sagt: „Es gibt natürlich auch Menschen, die integrieren sich nicht so. Aber die Vielzahl ist schon offen.” Zweifelsohne spielt auch eine Rolle, das manche Häuslebauer unter der Woche gar nicht anwesend sind. Zwenkau ist ihr Wochenendsitz, den Großteil ihres Lebens verbringen sie anderswo.
Manche(r) reagiert kühl

Läuft man abseits der neuen Wohngebiete durch Zwenkau, gibt es dann aber auch Menschen, die das Verhältnis zu den Neu-Zwenkauern kühler beschreiben. Mehrmals fällt der Name „Kap-Stadt“, auch von „denen da unten“ ist die Rede.

Klaus Rethel, 81 Jahre alt und Ur-Zwenkauer durch und durch, spricht seine Meinung ganz offen aus. „Man hat mit den Leuten keine Verbindung“, sagt er. „Da unten weiß man gar nicht, mit wem man es zu tun hat. Sind das Leute, die dort wohnen? Oder Touristen, die zu Besuch sind?“ Berührungsängste scheint er aber keine zu haben, „nach unten“ fahre er jedenfalls häufiger, erzählt er. Zuletzt war er mal am Kap essen.
Bürgermeister will Mittler sein

Nur ein paar Meter weiter fällt im Gespräch mit Sigrid Müller schließlich ein Adjektiv, das es in sich hat: „vernachlässigt“. So fühle sie sich manchmal, räumt die 86 Jahre alte Dame ein, wenn sie auf ihren Alltag blickt. Das Leben der alten Menschen finde manchmal zu wenig Beachtung. „In der Innenstadt gibt es viele alte Leute“, sagt sie. „Und da gibt es keine ausreichenden Einkaufsmöglichkeiten. Ich schaue jeden Tag in die Zeitung und hoffe, dass mal ein kleiner Lebensmittelladen öffnet, mit frischem Obst und Gemüse.“ Bisher tat sie das vergebens. Aber auch sie fährt ans Kap, „man ist ja schon neugierig, was da passiert“.
Dort, am Ufer des Zwenkauer Sees, scheint ein Ort der Begegnung entstanden zu sein, dort laufen sich alle über den Weg: Alteingesessene, Neu-Zwenkauer, Urlauber und Tagesausflügler aus Leipzig. Über das, was am See entstanden ist, herrscht allgemeine Freude. „Das ist vollkommen klar: Es ist heute viel besser als damals“, konstatiert der gebürtige Zwenkauer Klaus Rethel. Und die Zwenkauerin Sigrid Müller ergänzt: „Es ist gut, dass wir den See haben.“

Worte, die auch Zwenkaus Bürgermeister Holger Schulz von der CDU erfreuen. Der Mann, der sich als Mittler versteht, um „allen ein gutes Zusammenleben zu ermöglichen“, wie er sagt. Vereine, Schulen und Kitas seien dabei die wichtigste Stütze. „Am Kap wächst eine sehr alte Stadt an den See“ – mit dieser Formel beschreibt er die Entwicklung seiner Kommune, die eine der ältesten Städte im heutigen Sachsen ist. Als slawische Siedlung wurde sie 974 erstmals urkundlich erwähnt und als Civitas im Gau Chutizi bezeichnet.
Und da ist noch etwas, was er loswerden möchte: „Es sind alles Zwenkauer für mich: Ein Alteingesessener wird behandelt wie ein Neuzugezogener. Ich verstehe Zwenkau mit seinen Ortsteilen als Einheit.“

Auch Helga Mészáros von der SG Germania braucht nicht viele Worte für das, was sie empfindet, wenn sie am See spazieren geht. „Man muss nur so viel sagen: Etwas Besseres hätte uns nicht passieren können.“

Andreas vom Zwenkauer See hat dies geteilt.